DR. MED.
HENRICH STIFTUNG
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Die Bedeutung von Toleranz und die Grenzen der Toleranz für VeganerInnen

Viele Menschen scheinen über Toleranz und deren wahre Bedeutung gar nicht weiter nachzudenken. Ist Toleranz ein Wert an sich, der immer und überall zu gelten hat, gleichgültig um was es geht? Oftmals hört man die seltsamsten Argumente, wenn Toleranz gegenüber Fleisch-, Milch- und Eierkonsumenten eingefordert wird. Jeder habe ja schliesslich selbst einmal Fleisch gegessen und man sei nicht als Veganer zur Welt gekommen, vernimmt man dann erstaunt. Ein wahrhaft seltsames Argument. Wenn es denn tatsächlich eine ernst zu nehmende Argumentation wäre, dürfte kein Mensch mehr auf Fehler anderer hinweisen, weil selbstverständlich jeder Mensch in seiner Vergangenheit schon einmal mehr oder weniger grosse Fehler gemacht hat.

 

Auch hört man immer wieder die Forderung, Menschen für jeden positiven Schritt zu loben, also zum Beispiel für angeblich „weniger Fleischkonsum“ oder einen „fleischfreien Tag in der Woche“. Wenn dieser Unsinn richtig wäre, dann müssten z. B. auch bei häuslicher Gewalt gegenüber Frauen und Kindern die Täter gelobt werden, wenn sie gnädigerweise „weniger zuschlagen“ oder einen „gewaltfreien Tag ohne Prügel“ einlegen.

 

In Wahrheit sind solche Aussagen bzw. Forderungen nichts weiter als der Ausdruck von Bequemlichkeit, Feigheit oder mangelndem Vermögen, sich mit den Konsumenten von Tierqualprodukten als Täter auseinanderzusetzen. Auseinandersetzen bedeutet in diesem Fall natürlich nicht Aggression oder Beschimpfung, sondern die Konsumenten über die Folgen ihrer Taten sachlich zu informieren und seinen ethischen Standpunkt klar zu vertreten. Nur wenn die Konsumenten ausreichend gute Informationen erhalten, erst dann haben sie die Chance, aufgrund dieses neuen Wissens auch gute Entscheidungen zu treffen. Wenn wir die Konsumenten nicht klar und gut informieren, wie können sie dann eine gute Entscheidung gegen Tierqualprodukte treffen? Wenn wir nicht den Mut haben, unseren Standpunkt klar und unmissverständlich zu vertreten, wie können unsere Mitmenschen dann erkennen, wie wichtig diese Angelegenheit für hungernde Menschen, leidende Tiere, die Umwelt und für uns selbst ist?

 

Toleranz ist ein hoher Wert im friedlichen Zusammenleben der Menschen. Aber Toleranz muss da aufhören, wo Mensch, Tier und Umwelt Schaden nehmen. Es liegt ein Missbrauch des Wortes Toleranz vor, wenn man Toleranz für Unrecht und Verbrechen an Menschen, Tieren und der Umwelt fordert. Ja, man kann durch falsch verstandene Toleranz selbst zum Täter werden. Denn die Toleranz für Unrecht und Verbrechen bestärkt die Täter. Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Mann brachte es auf den Punkt:

 

„Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt.“

 

Mit anderen Worten: Wir werden selbst Teil des Unrechts und Teil der Verbrechen und damit auch Täter, wenn wir nicht klar und eindeutig gegen Unrecht und Verbrechen Stellung beziehen und sie als das benennen, was sie sind: Unrecht und Verbrechen! Eine kluge Aussage zur Toleranz stammt von dem Schriftsteller Umberto Eco:

 

„Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen“.

 

Ganz sicher ist nicht tolerierbar, dass der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern für mindestens 51 % der weltweiten von Menschen ausgelösten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist und somit den Klimawandel bzw. die Klimakatastrophe auslöst und damit die Existenzgrundlagen nachfolgender Generationen zerstört.

 

Ganz sicher ist nicht tolerierbar, dass jeder Tod eines Tieres und die systemimmanente Tierquälerei in der Tierhaltung und Schlachtung wegen eines banalen ungesunden Geschmackerlebnisses ein unerträgliches und zum Himmel schreiendes Unrecht darstellt.

 

Ganz sicher ist nicht tolerierbar, dass täglich ca. 40.000 Kinder an Hunger sterben, während ca. 40 % der weltweit gefangenen Fische, ca. 50 % der weltweiten Getreideernte und ca. 90 % der weltweiten Sojaernte an die „Nutztiere“ der Fleisch- und Milchindustrie verfüttert werden, was zum grossen Teil sogar aus den „Hungerländern“ stammt. (80 % der hungernden Kinder leben in Ländern, die einen Nahrungsüberschuss produzieren, doch die Kinder bleiben hungrig und verhungern, weil der Getreideüberschuss an Tiere verfüttert bzw. exportiert wird.)

 

Ganz sicher ist nicht tolerierbar, dass sich die Menschen durch den Konsum von Fleisch, Milch, Milchprodukten, Eiern und Fisch die schwersten und tödlichen Erkrankungen wie Krebs, Herzinfarkt, Bluthochdruck, Schlaganfall, Diabetes, Alzheimer, Demenz, Adipositas usw. an(fr)essen, weil sie von korrupten „Experten“ vorsätzlich über den Zusammenhang von Ernährung und Krankheit irreführend informiert werden.

 

Wenn sich jemand gegen die eigene Gesundheit entscheidet, mag das noch okay sein, auch wenn es über die Krankenkassen alle Versicherten belastet und ein eher unsoziales Verhalten auf Kosten aller darstellt. Wenn aber jemand dabei mitmacht, den Hungertod von Kindern und Erwachsenen zu verursachen, Tiere zu quälen und zu töten, die Erde für die nächsten Generationen unbewohnbar zu machen, dann ist das ein Unrecht, für das es keine Toleranz geben darf.

 

Was bedeutet das für unser Verhalten im Alltag?

 

Man sollte sich über die ethischen und gesundheitlichen Hintergründe des Veganismus gründlich informieren, um selbst informieren zu können. Dafür wurde z. B. die ProVegan-Website erstellt (www.ProVegan.info). Andernfalls kann man nicht erwarten, dass man von seinem Gesprächspartner ernst genommen wird und er auf das hört, was man zu sagen hat. Es hilft ganz sicher nicht, wenn man den Fleischesser direkt anpöbelt und mit Vorwürfen überhäuft, denn vielen ist das Unrecht, was sie begehen, zunächst überhaupt nicht bewusst. Deshalb ist es wichtig, fachlich kompetent zu informieren und die Fakten klar und wahrheitsgetreu zu benennen. Dafür wurde u. a. die Vegan-Broschüre von ProVegan geschaffen (http://www.provegan.info/fileadmin/img/pdf/broschuere-vegan.pdf). Danach liegt es an den Mitmenschen, diese Informationen zu nutzen oder in voller Kenntnis um die Folgen ihres Konsums vorsätzlich weiterhin Unrecht zu begehen.

 

Wie geht man mit Freunden und einem Lebenspartner um, die in voller Kenntnis der Folgen trotzdem die Tierqualprodukte konsumieren?

 

Ganz sicherlich eines der schwierigsten persönlichen Probleme überhaupt. Hier kann man nur als Denkanstoss die folgenden Fragen aufwerfen:

 

Was ist von einem Freund oder Partner zu halten, der sieht, wie wichtig Ihnen die ethischen Fragen rund um leidende Tiere, verhungernde Kinder und einer zunehmend zerstörten Umwelt sind, der auch sieht, wie sehr Sie darunter leiden, und der trotzdem weiter vorsätzlich das tut, was Ihren wertvollsten Moralvorstellungen widerspricht?

 

Was ist von einem Freund zu halten, der sich nicht um die Dinge schert, die Ihnen ganz wichtig sind?

 

Was ist von einem Partner zu halten, der sich vorsätzlich durch den Tierproduktekonsum in die erhebliche Gefahr begibt, durch Krebs, Alzheimer oder ein anderes schweres ernährungsbedingtes chronisches Leiden verfrüht und massiv Leid in die Partnerschaft einzubringen?

 

Fazit: Auch wenn wir kein Unrecht begehen, haben wir aber trotzdem die Verantwortung für das Unrecht, was um uns herum geschieht. Erich Kästner schrieb:

 

„An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.“

 

Toleranz gegenüber Unrecht wäre aber genau das Gegenteil, man würde das Unrecht unterstützen und fördern. Für moralisch denkende Menschen reicht es nicht aus, selbst kein Unrecht zu begehen, sondern mutig und entschlossen gegen Unrecht vorzugehen, also Unrecht nicht zu tolerieren, selbst dann oder gerade dann, wenn moralisches Unrecht (noch) durch Gesetze gedeckt ist. Ganz im Sinne von Berthold Brecht:

 

„Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“