DR. MED.
HENRICH STIFTUNG
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Der omnivore Tierfreund

(Text von Armin Rohm)

Der omnivore Tierfreund

Moralische Schizophrenie in der Praxis Teil 1

Ein omnivorer Tierfreund ist ein vergleichbares Phänomen wie der sympathische Choleriker, der „normalerweise ganz anders“ und „in Wirklichkeit voll nett“ ist. Nur manchmal eben überhaupt nicht. Da tickt er komplett aus und behandelt seine Mitmenschen wie ein Stück Scheiße.

Sehr ähnlich der tierliebe Fleischesser: Erst liebkost er seinen Hund („Mein bester Freund und Kamerad.“), dann unterschreibt er eine Petition gegen das Abschlachten der Delfine in Taiji („Diese Japaner, das sind doch gefühllose Unmenschen! Da kann ich doch nicht tatenlos zusehen.“), spendet 50 € an den örtlichen Tierschutzverein („Für das Wohl der Tiere würde ich jederzeit ohne zu zögern mein letztes Hemd geben.“), und dann ….. isst er ganz genüsslich ein Steak – die fleischgewordene Todesangst eines feige hingerichteten, unschuldigen Tierkindes.

Der omnivore Tierfreund

Moralische Schizophrenie in der Praxis Teil 2

Ich höre diese Botschaft mehrmals die Woche: „Ja, NATÜRLICH esse ich Fleisch und dennoch bin ich ein engagierter Tierfreund. Das ist doch beides möglich. Wo ist das Problem?“ Meist folgt dann noch die immer gleiche, um Absolution winselnde, Standardfloskel: „Aber ich esse wirklich sehr bewusst Fleisch und echt selten, ausschließlich vom Metzger meines Vertrauens, der jedes Tier namentlich kennt und es am Ende seines erfüllten Lebens maximal human seiner Bestimmung zuführt.“

Statt das erhoffte Lob auszusprechen („Super, was du dir für Gedanken machst“), habe ich mir angewöhnt, den Begriff TierFREUND aufzugreifen, in etwa so: „Für MICH ist ein Freund jemand, der mich mag, mir vertraut, mich genau so akzeptiert, wie ich bin. Jemand, der ehrlich zu mir ist, durchaus auch mal kritisch, mich aber nicht belehrt, bevormundet, beschämt, täuscht oder in meiner Freiheit einschränkt. Jemand, der jederzeit für mich da ist, der mir gerade in schwierigen Zeiten zur Seite steht, mich gegen Angriffe jeder Art verteidigt, mir von ganzem Herzen für mein Leben nur das Beste wünscht und mir NIEMALS willentlich Schaden zufügt. Wenn ich prüfen will, ob ICH mich zu Recht als Tierfreund bezeichne, wechsle ich einfach die Perspektive und frage mich, inwiefern die Tiere, deren Freund zu sein ich behaupte, das wohl auch so sehen. Dann wäre bei MEINEM Verständnis von Freundschaft sofort sonnenklar, dass Handlungen wie einsperren, vergewaltigen, deportieren, ermorden, zerstückeln und essen aus Sicht der Tiere definitiv nicht als Freundschaftsbeweis durchgehen.“ Nach einer kleinen Kunstpause frage ich dann neugierig nach: „Was genau bedeutet wahre Freundschaft für DICH? Was unterscheidet dein Verständnis so sehr von meinem, dass es all die Gewalt verzeiht?“

Der omnivore Tierfreund

Moralische Schizophrenie in der Praxis Teil 3

Spricht man mit Omnivoren über die Ausbeutung der Tiere durch den Menschen oder etwas spezieller über das Thema Fleischkonsum, dann beeilen sie sich meist klarzustellen, dass ihnen die Tiere „wirklich auch Leid tun“, und dass man die untragbaren Zustände in der „Fleischproduktion“ dringend reformieren muss, damit „man (!) wieder guten Gewissens Fleisch essen kann“.

Solche Aussagen sind für Veganer kaum erträglich, weil sie sich verstört fragen: Wie kann man Mitleid mit jemand empfinden und ihn dann töten und essen? Was zum Teufel soll eine „reformierte Ausbeutung“ sein, die so toll ist, dass sie sogar Mord rechtfertigt? Wie kann jemand, der die Hinrichtung von Tierkindern beauftragt, überhaupt jemals ein „gutes Gewissen“ haben? Welche geistigen Verrenkungen sind hierzu nötig?

92 % der Deutschen essen Tierleichen, und die große Mehrheit sagt, sie empfinde Mitleid, wenn ein Tier „unnötige“ Qualen erleidet. Sind das alles verlogene Heuchler? Ganz so einfach ist es wohl nicht. Wenn nicht, wie kann es dann sein, dass Omnivoren fühlen wie ich, und trotzdem weder Schuld noch Ekel empfinden, wenn sie Tiere essen?

Es könnte damit zu tun haben, dass beide, Omnivoren und Veganer, zwar sagen „Mir tun die Tiere leid“, aber damit (unbewusst!) zwei verschiedene Gefühle ausdrücken. Die meisten Fleischesser empfinden MitLEID mit den Tieren, Veganer empfinden MitGEFÜHL. Zwei völlig unterschiedliche Qualitäten.

MitLEID ist eine gönnerhafte Geste, die dem Ego des Stärkeren entspringt und der Beruhigung des eigenen Gewissens dient. Mitleid empfindet, wer sich überlegen fühlt, kommt also von oben herab, geschieht nicht auf Augenhöhe. Mitleid empfindet zum Beispiel der amerikanische Präsident, wenn er ausnahmsweise den Thanksgiving-Truthahn begnadigt. Er tut das für SICH, indem er SEIN Ego streichelt und SICH und der ganzen Welt zeigt, dass ER ein guter Mensch ist. Der Gedanke, dass es nicht in Ordnung sein könnte, Truthähne zu schlachten, spielt dabei keine Rolle. Mitleid ist manchmal nichts weiter als die höflichste Form von Verachtung. Es hilft den Menschen außerdem, sich selbst als bessere Menschen im Vergleich zu den anderen Tätern einzustufen und das eigene Handeln dadurch zu ent-SCHULD-igen. Diese inneren Bewertungsvorgänge erfolgen jedoch nicht bewusst. Sie werden nicht hinterfragt und sind in der Regel nicht besprechbar. Gerade deshalb sind sie in in ihrer psychologischen Bedeutung als Stabilisator der karnistischen Ideologie kaum zu überschätzen.

MitGEFÜHL hingegen ist das Erschaudern des Herzens im Angesicht des Leids. Wer Mitgefühl empfindet, begibt sich auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber. Er sieht und fühlt die Dinge mit den Augen und in der Haut des anderen. Wer Mitgefühl mit den Tieren empfindet, hört ihre markerschütternden Schreie, sieht ihre verzweifelten Blicke, fühlt ihre Trauer und Todesangst, spürt das Schlachtermesser an der eigenen Kehle. Er verbindet sich ganz mit dem Schmerz der Opfer. Er weiß und fühlt, dass es auch seine eigenen Schreie, Blicke, Gefühle und Tränen sind, die er da wahrnimmt. Er fühlt in diesem Moment das Leiden aller beseelten Geschöpfe in dieser gewalttätigen Welt.

Mitleid oder Mitgefühl? Der Unterschied, der den Unterschied macht.

Der omnivore Tierfreund

Moralische Schizophrenie in der Praxis Teil 4

Wenn in omnivordominierter geselliger Runde mit kleinstmöglicher veganer Minderheitsbeteiligung die Sprache auf das Thema Veganismus/Tierrechte kommt, lässt sich mit schlafwandlerischer Sicherheit vorhersagen, dass recht schnell ein Akteur klarstellt: „Also, ich finde schon, dass es möglich ist, ein tierlieber Mensch zu sein und trotzdem Fleisch zu essen.“ Die anderen „Normalesser“ beeilen sich dann, durch heftiges Kopfnicken, Seh-ich-auch-so-Bekundungen oder zustimmendes Grunzen zu signalisieren, dass das Thema hiermit umfassend geklärt wäre und keiner weiteren Erörterung bedarf.

Anstatt dagegen zu argumentieren kann man auch entgegnen: „Du hast völlig Recht. Natürlich ist es MÖGLICH, dass sich jemand voller Liebe um sein Haustier kümmert und regelmäßig Fleisch isst. So, wie es auch MÖGLICH ist, dass jemand seinen Kindern ein überaus liebevoller Vater ist und gleichzeitig seine Frau behandelt wie ein Stück Dreck. Es ist auch MÖGLICH, dass jemand am Morgen für den Opa von nebenan den Rasen mäht und im Schutze der Nacht Jagd auf Asylanten macht und ihnen den Schädel einschlägt. Ja, all das ist in unserem Land durchaus MÖGLICH und geschieht Tag für Tag. Wann endlich werdet ihr euch der Frage stellen, ob es RICHTIG ist?

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