Anmerkung: Ein für eine Wirtschaftszeitung überraschender Artikel über Tierversuche, dem man das Bemühen um Ausgewogenheit anmerkt. Allerdings stellt sich die Frage, ob eine ausgewogene Berichterstattung über Verbrechen überhaupt möglich ist. Auch wenn ein Tierversuch ein Vorteil für den medizinischen Fortschritt wäre, bliebe es dabei, dass ein Tierversuch immer ein Verbrechen ist und ein Mensch keinen grösseren Wert als ein Tier hat. Denn es gilt:
„Es gibt keinen objektiven Grund für die Annahme, dass menschliche Interessen wichtiger seien als tierliche.“ – Bertrand Russell, Mathematiker und Philosoph, Nobelpreis für Literatur
Hier die wichtigsten Aussagen des Artikels:
„Die Wahrheit lautet wohl eher: Man will die Tierschützer fernhalten, denn die Labors des Instituts sind ein Zentrum für Tierversuche. In geheimen Tests für das amerikanische Militär werden Substanzen an Ratten, Hunden und Affen getestet. Hier bei Lovelace hat auch die deutsche Autoindustrie jene Abgasversuche an Affen in Auftrag gegeben, die nach ihrem Bekanntwerden vor einer Woche in Deutschland und aller Welt für Entsetzen sorgen.“
„Für die Gegner von Tierversuchen ist das Lovelace Respiratory Research Institute (LRRI) ein Negativbeispiel für die Machenschaften der Laborbranche. Das US-Landwirtschaftsministerium verhängte in den vergangenen Jahren aufgrund von Tierquälerei wiederholt Strafen gegen die Firma. Schmerzmittel oder andere Medikamente wurden nicht wie vorgeschrieben verabreicht, ein Hund starb, als seinen Lungen aus Versehen zu viel Luft zugeführt wurde. Es sind Missstände, wie sie regelmäßig ans Tageslicht kommen, wenn Tierschützer heimlich Aufnahmen in Testlabors machen. Hunde, denen der Kopf aufgebohrt wird, um Viren direkt ins Gehirn spritzen zu können. Katzen, die in völlig überfüllten Räumen gehalten werden.”
„Rund um die Tests hat sich eine milliardenschwere Branche gebildet – ein schwer zu durchschauendes Netz aus Auftraggebern, privaten und öffentlichen Labors, Züchtern und Lieferanten von Versuchstieren. Im besten Fall könnte der VW-Fall helfen, eine wichtige Debatte auszulösen: Brauchen wir diese Tierversuch-Industrie wirklich?“
„Der Boom der Forschung hat die Zahl der Tierversuche seit dem Jahr 2000 hochschnellen lassen. Die jährlich weltweit durchgeführten Tests werden auf annähernd 100 Millionen geschätzt.“
„Doch wer die Tierversuchsbranche näher betrachtet, trifft auch auf überflüssige Tests zu Marketingzwecken oder für Produkte ohne klaren Nutzen. Auf fragwürdige Labors und auf eine oft unkritische Forschergeneration, für die solche Versuche ganz selbstverständlich sind.“
„Wie nützlich die Tests für die Arznei-Entwicklung wirklich sind, ist umstritten. Organisationen wie die Tierschutzvereinigung Peta oder ‚Ärzte gegen Tierversuche‘ argumentieren, dass komplexe Krankheiten und Heilungen beim Menschen in sogenannten Tiermodellen nicht abgebildet werden können. Somit könnten die Ergebnisse aus Tierversuchen nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen werden.“
„Für die hohe Zahl von Tierversuchen ist jedoch auch das öffentliche Sicherheitsbedürfnis verantwortlich. Zahlreiche Gesetze von nationalen Regulierungsbehörden sowie Standards der OECD schreiben Tierversuche vor. Etwa ein Viertel aller Tests entfällt in Deutschland allein auf regulatorische Sicherheitsprüfungen. So müssen Medikamente mindestens bei zwei Tierspezies getestet werden, bevor sie erstmals bei Menschen erprobt werden dürfen.“
„Die Tierschützer brachten schockierende Bilder und Berichte mit: wie Mitarbeiter dort Hunde misshandelten, wie die Tiere zwangsernährt oder mit Chemikalien beschmiert wurden. Davon aufgeschreckt, schritten die US-Behörden ein, das Labor wurde geschlossen, PRLS-Mitarbeiter wurden angeklagt.“
„In Deutschland hat die Vereinigung ‚Ärzte gegen Tierversuche‘ rund 700 Versuchseinrichtungen in 95 Städten ausgemacht.“
„Laut der Organisation ‚Ärzte gegen Tierversuche‘ gibt es in Deutschland zwar Hunderte kleinere Einrichtungen, in denen an Tieren geforscht wird, aber nur zwei bekannte größere Auftragslabors: LPT Laboratory in Hamburg und die Firma Covance mit Standorten in München und Münster.“
„Die Vereinigung ‚Ärzte gegen Tierversuche‘ schätzt, dass in Münster bis zu 2000 Affen pro Jahr getötet werden. ‚Covance hat sich auf Fortpflanzungs-Giftigkeitstests spezialisiert, bei denen vor allem schwangeren Affen Medikamente oder Chemikalien verabreicht werden‘, sagt Corina Gericke.“
„Veterinärämter kontrollieren lediglich die Haltung der Tiere, nicht die Versuche selbst.“
„Tierversuche für das Militär haben eine lange und unrühmliche Tradition, die ihren Höhepunkt zu den Hochzeiten des Kalten Kriegs hatte. Die US-Armee testete Anfang der 80er-Jahre die Wirkung von Neutronenbomben an Affen. Die Sowjetunion setzte die Tiere Milzbranderregern aus, um deren Eignung als Waffe zu testen. Noch heute lässt die US-Armee angehende Sanitäter an absichtlich schwer verwundeten Tieren trainieren.“
„Damit begründet auch die Bundeswehr ihre Tierversuche. Im Jahr 2015 kamen rund 600 Tiere bei Übungen und in Laborversuchen der Bundeswehr ums Leben, darunter hauptsächlich Ratten, aber auch Schafe.“
„Rund 40 Prozent aller Tierversuche wurden in der Europäischen Union im vergangenen Jahr in der biologischen Grundlagenforschung gemacht.“
„Solche kritischen Stimmen werden in der Forschungsszene immer lauter. ‚Tierversuchsbefürworter reden gerne über die erfolgreiche Anwendung, aber nicht darüber, welche Medikamente entwickelt worden wären, wenn man den gleichen Aufwand in andere Technologien gesteckt hätte‘, kritisiert Marcel Leist, Professor an der Uni Konstanz und Leiter des ‚Zentrums für Alternativen zum Tierversuch in Europa‘.“
„Leist moniert, dass Forschungsprojekte, die auf Tierversuche verzichten, zu wenig gefördert würden. Zwar gibt die EU ebenso wie die Bundesregierung Millionenbeträge für solche Ansätze frei. Doch es ist wenig, gemessen an den Milliardenbeträgen, die insgesamt in der deutschen Forschung bewegt werden.“
„Die Hoffnungen ruhen auf modernen Technologien. Forscher setzen zudem auf Zellkulturen, künstlich gezüchtete Organe oder auch Computersimulationen, mit denen etwa toxische Effekte einer Substanz vorhergesagt werden können.“
„Doch bei den gesetzlich vorgeschriebenen Tests an neuen Arzneien setzen sich die neuen Technologien nur schwer durch. Regulierungsbehörden in aller Welt fordern noch immer Tierversuche.“