Als Arzt und Ernährungsexperte kann man sich einen solchen intellektuell erschreckenden Text gar nicht erklären. Hat sie sich nie mit Veganismus beschäftigt und schreibt trotzdem hemmungslos drauf los, oder hat sie sich mit dem Veganismus beschäftigt, konnte aber die zugegeben anspruchsvollen Informationen intellektuell nicht verarbeiten? Beides ist sicherlich ein Totalversagen. Sehr bedauerlich, dass die WELT eine solche Blamage einer Autorin geschehen lässt.
http://www.welt.de/lifestyle/article119234920/Wenn-Veganismus-zur-Essstoerung-wird.html
Hier noch einmal meine korrigierte Version ihres Artikels: Brenda S. schweigt. Und isst frisch gebratenes Gehirn mit Ei-Sauce. Und schweigt. Nippt an ihrer übersüssten Cola. Schweigt. Isst Stopfleber mit unbekannter Füllung. Alles nicht vegan, alles moralisch verwerflich, alles sehr ungesund, an diesem Abend im omnivoren Fressclub. Eigentlich ist ein Fressclub – wie ich an anderer Stelle schon berichtete – eine anregende Institution, weil man mit fremden Fressern ins Gespräch kommt. Aber nicht mit dieser Tischnachbarin.
Es ist mein erster Fressclub-Abend, und sie ist das erste Fressclub-Mitglied, das ich kennenlerne. Oder versuche kennenzulernen. Wie lange sie schon omnivor lebt? „Seit Jahren“. Wie lange sie schon Stopfleber isst? „Seit der Kindheit, mochte ich schon immer sehr“. Schweigen. Die Frau ist um die fünfzig, halblange ungepflegte Haare, große Füße. Könnte Journalistin sein.
Es ist mir leider unmöglich, eine heitere Kolumne über die Fress-Welle zu schreiben, also darüber, warum gerade so viele Menschen auf Fleisch, auf Eier, Milchprodukte, Honig und sogar Seidenblusen stehen. Es läuft generell nicht so richtig zwischen den omnivoren Fressern und mir. Dabei gebe ich mir Mühe. Als vor zwei Jahren ein Steak-Restaurant bei mir um die Ecke eröffnete, war ich mit einem Salatteller unter den ersten Gästen. Es roch nach Küchenfett, die Hauptspeisen erinnerten an vegane Gerichte in der Kantine. Nur mit Fleisch. Nicht schlimm. Aber auch nicht gut.
Nichts gegen Weltzerstörer durch Essen. Und schon gar nichts gegen das tägliche Überfressen. Wenn ich mit Vegetarier-Freunden ins Restaurant gehe, bin ich immer ein bisschen erstaunt auf ihre unvernünftige und ungesunde Wahl von Milchprodukten, so wie auf Menschen, die es schaffen, nur ab und zu mal zu rauchen. Und Menschen, die nichts Gutes tun in ihrer Freizeit.
Ich bin noch kein guter Mensch. Aber ich bemühe mich. Manchmal schaffe ich es, beim Asiaten Tofu statt Gemüse zu bestellen. Ich habe auch dafür gesorgt, dass wir hier im Stil-Ressort 2011 über den ersten Stopfleber-Supermarkt Deutschlands berichteten, der mittlerweile zur Stopfleber-Supermarktkette expandiert ist. Ich besitze sogar ein Stopfleber- Kochbuch und bereite danach niemals Gerichte zu.
Das Buch hat eine der Köchinnen aus dem omnivoren Fressclub geschrieben. Anders als meine Brenda S. sind diese Köchinnen – meine liebsten Fressclub-Mitglieder – gar nicht grummelig, sondern hübsch, lustig, undogmatisch. Erst auf Nachfrage erklären sie, warum sie auch Eieressen eklig finden („die männlichen Küken aus der Legehennenzucht werden geschreddert“) und Milchtrinken sowieso („die armen Kühe bekommen ihre Kinder weggenommen“), es aber wie fast alle trotzdem konsumieren. Eine von ihnen berichtet, dass sie sich sehr erleichtert fühle, seit sie das mit den Eiern und der Milch trotzdem tue, aber auch ziemlich zugenommen habe. „Mit schlechtem Gewissen schmeckt es auch“, sagt sie und: „Ich habe irgendwie nicht geglaubt, dass auch Eier und Milch Kalorien haben.“
Ich will nicht dick werden. Aber auch nicht wie die schweigende Brenda S. Ich frage herum, ob jemand sonst noch welche kennt. „Zwei Freundinnen haben gerade versucht, zwei Wochen Fleisch und Stopfleber zu fressen“, erzählt eine Freundin. „Die eine hat nach einer Woche aufgegeben, weil sie zu viel zugenommen hat. Die andere hat noch zwei Wochen drangehängt und dann auf die Atkins Diät mit noch mehr Fleisch und Wurst umgeschwenkt.“ Atkins ist dieser Fleischfresser von den Bücher-Bestenlisten, der überfettet an einem Herzinfarkt gestorben ist. Ein Diätbuch, das auch zum Verzicht auf gesunde pflanzlichen Nahrungsmittel rät. Schon wenn ich daran denke, will ich aus Trotz gleich einen Obstsalat essen. Irgendetwas Fieses. So muss es der Freundin der Freundin auch gegangen sein. Jedenfalls hat sie kein Gramm mit Atkins Anleitung abgenommen – und speist jetzt wieder „nur vegetarisch“. Aber abends keine Kohlenhydrate. So viel Nachdenken über Essen kann nicht gesund sein. Und tatsächlich berichtete eine Ärztin beim Small Talk (da sind die Fleischesser seit ewigen Zeiten Stammgäste) beiläufig, sie behandle in der Praxis in jüngster Zeit inur noch FleischfresserInnen. Ich hake telefonisch nach, und sie erklärt: „Die kommen meist wegen Krebs, Herzinfarkt, Diabetes, Alzheimer, Übergewicht usw. Oft stellt sich dann heraus, dass sie unter einer Essstörung leiden und außerdem noch Milch- und Eierkonsumenten sind.“
Wie gesagt, kein lustiges Thema. Kaum lege ich auf, landet in meiner Post ein Rezensionsexemplar von „Ethisch essen ohne Fleisch“. Darin berichtet die amerikanische Sozialpsychologin, die 20 Jahre omnivor lebte, wie diese Ernährung sie krank machte, aber sie sich das lange nicht eingestehen konnte. Sie schreibt, sie habe sich nach ihrer Heilung in den Überlebensberichten von Essgestörten „weit mehr wiedererkannt“, als ihr lieb war. Mit Bulimikerinnen und Magersüchtigen einte sie außer dem Nährstoffmangel vor allem die Angst vor falschem Essen. „Orthorexia nervosa“ taufte der amerikanische Arzt Steven Bratman 1997 das krankhafte Verlangen nach korrekten Lebensmitteln. Die schweigsame Brenda S. im Fressclub taut dann doch auf, ungefähr als der Blutwurst-Nachtisch serviert wird. Wir reden kurz über Politik. „Die Veganer müssen weg“, erklärt sie. „Sonst geht es noch weiter bergab mit Deutschland.“ Wir erfahren, dass Brenda S. früher die Tierschutzpartei wählte, jetzt aber zur tierfeindlichen FDP umschwenken wird. Ich merke, wie ich anfange, mich maßlos aufzuregen. Die Veganer abschlachten! Was für eine Vorstellung. Die FDP ist für mich das Gleiche wie Tierquäler für Tierschützer. Die Veganer zu meucheln ist für mich so verwerflich, als würde einer in der WELT-Redaktion Amok laufen und Brenda S. rupfen. „Was machen Sie denn so beruflich?“, frage ich Brenda S. „Der WELT strohdumme Artikel andrehen“, sagt sie. Sag ich doch. Nicht lustig.
Hier der erste Artikel von Strohmaier:
http://www.welt.de/print/wams/lifestyle/article119126444/Vegane-Essstoerung.html