«Unser politisches System, das weder eine vollständige Republik, noch eine vollständige Demokratie, noch eine Monarchie ist, vereint die schlechtesten Eigenschaften aller Regierungsformen. Grund dafür: Politiker, die sich nicht rechtfertigen müssen, und eine verantwortungslose Presse.»
«Ein Kanzler, der in einen Bankenskandal verwickelt ist. Ein Wirtschaftsminister, der in einer Energiekrise Kernkraftwerke abschaltet. Ein Justizminister, der „grundrechtsschonende“ Gesetze ausarbeitet, die die Grundrechte beschneiden. Eine Innenministerin, die den Verfassungsschutz zum Regierungsschutz umbaut. Ein Gesundheitsminister, der an einer nicht mehr von der Hand zu weisenden Wirrnis leidet. Eine Verteidigungsministerin, die vom Militär nur so viel weiß, dass sie dieses für kostenlose Familienflüge nutzen kann. Eine Außenministerin, die glaubt, dass sie Weltinnenpolitik betreibt.»
«Es sind Bilder aus einer Kakistokratie. Die Herrschaft der Schlechtesten zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine bloße Regierung, sondern eine institutionalisierte Staatsform ist.»
«Von allen diesen Werten hat die Freiheit die Menschen noch am meisten begeistert. Die Motivation, warum sich viele Europäer für solche Formeln nicht mehr begeistern können, liegt an der mangelnden Identifikation mit einem politischen System, das mittlerweile keinen einzigen Wert mehr wahrt, von dem es beteuert, ihn zu vertreten.»
«Doch in Deutschland hat man sich mittlerweile an den Status der Kakistokratie so sehr gewöhnt, dass man sie entweder nicht erkennen will – oder resigniert.»
«Politiker denken dagegen in Wahlen. Sie kommen und gehen, sie sind wie Nomaden, die mitnehmen, was sie bekommen können; soll sich doch der Nachfolger darum kümmern. Der Staat ist damit nicht nur metaphorische, sondern tatsächliche Beute. Man kann 16 Jahre lang auf einem fruchtbaren Acker Unkraut säen und dem Nachfolger vorhalten, dass in der eigenen Zeit als Bäuerin kein Löwenzahn auf dem nun verwahrlosten Feld gewachsen sei.»
«Die Presse hätte als „Vierte Gewalt“ die Aufgabe besessen, die aus der vorrevolutionären Zeit bekannten Kontrollmechanismen zu ersetzen. Über „sanfte Gewalt“ wäre es ihre Aufgabe gewesen, die inkompetentesten Charaktere durch Information der Öffentlichkeit wie die Spreu vom Weizen zu trennen. Nicht durch Kampagnen und Wählerbeeinflussung, sondern durch wahrheitsgemäße und faktentreue Darstellung, die dem Bürger klarmacht, wer in bestimmten Themenbereichen tatsächliche Kompetenz hat.»
«Stattdessen ist die Presse einerseits zum Instrument der Politik geworden, um insbesondere die Masse auf Linie der Regierungspolitik zu bringen. Die öffentlichen Rundfunkanstalten sind Ausdruck dessen – und es ist kein Zufall, dass auf dem bevorstehenden Höhepunkt der Kakistokratie die Krise des ÖRR evident geworden ist. Andererseits hat die Presse längst ihre korrigierende Position zugunsten einer gestaltenden aufgegeben: Sie will selbst Politik und Gesellschaft gestalten, statt sie abzubilden. Der Wechsel diverser Journalisten in die Ministerien als Presse- und Regierungssprecher ist aktuell beispiellos. Das Scheitern der Demokratie und ihre Perversion zur Kakistokratie ist damit vor allem dem Scheitern des Journalismus im letzten wie im gegenwärtigen Jahrhundert anzulasten.»
«Der fehlenden Möglichkeit, einen mächtigen Politiker elegant loszuwerden; fehlende Mechanismen, die einen Politiker für seine Amtszeit zur Rechenschaft ziehen; die Entwicklung des Berufspolitikertums; das komplette Versagen der Presse als Kontrollinstanz; das alles hat dazu beigetragen, dass nicht nur in der Politik, sondern auch in der Verwaltung und anderen bedeutsamen gesellschaftlichen Positionen Leute Fuß fassen konnten, die nie für solche Positionen geeignet gewesen wären.»
«Eine Demokratie ohne Ostrakismos und eine Republik ohne Möglichkeit, die Politiker danach zu verklagen, ist historisch unvollständig. Die aufklärerische Idee, durch Presse und Bildung könnte das Staatswesen auf sanfte Art und Weise bewahrt werden, hat versagt.»
https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/angekommen-in-der-kakistokratie/