«Werbekampagnen und Lobbying haben Kuhmilch zu einem Massenprodukt gemacht. Doch der Preis dafür ist hoch. Die versteckten Umweltkosten der deutschen Milchproduktion belaufen sich auf 7 bis 11 Milliarden Euro pro Jahr. Das berechnete CORRECTIV aus den Ergebnissen einer noch nicht veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes.»
«Doch unsere Lust auf Milch kommt uns teuer zu stehen. Eine einflussreiche Lobby der Milchindustrie – in Parlamenten, Institutionen und Schulen – hat es geschafft, die wahren Kosten des Tierprodukts zu verschleiern. Staatliche Organisationen haben Milch als unverzichtbar für die Gesundheit dargestellt, die Großindustrie darf selbst an Schulen für Milch werben und ihre Vertretenden stimmen in Brüssel und Berlin für Gesetze, die den Konsum ankurbeln und dem Klima schaden.»
«Der Agrarexperte Knut Ehlers sagt: „Die versteckten Umweltkosten von Milch zahlen wir nicht an der Supermarktkasse, sondern sie übernimmt die Allgemeinheit und häufig wird erst zukünftigen Generationen die Rechnung vorgelegt werden – beispielsweise in Form eines verschärften Klimawandels oder dem Verlust an Artenvielfalt.“ Denn die Massenproduktion von Milch verursacht Treibhausgase und schädigt durch die großen Mengen an Dünger Böden und Gewässer. Ehlers ist Agrarwissenschaftler beim Umweltbundesamt, das die Studie „Sichtbarmachung versteckter Umweltkosten der Landwirtschaft am Beispiel von Milchproduktionssystemen“ beim Öko-Institut zusammen mit dem Forschungsunternehmen Infras und dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft in Auftrag gegeben hat.»
«Eine zentrale Erkenntnis: Ein Kilogramm Rohmilch sei fast doppelt so teuer wie der aktuelle Marktpreis von 36 Cent. Je nachdem, ob die Milch in einem ökologisch oder konventionell wirtschaftenden Betrieb produziert wird, betragen laut Studie allein die Umweltkosten zwischen 21 und 34 Cent.»
«Beim Veredeln gehen rund 80 Prozent der Nährstoffe verloren. Anstatt also in diesem Ausmaß erst Tiere vom Acker zu ernähren und dann anschließend Menschen von den tierischen Produkten zu ernähren, könnten wir viel mehr Menschen gesund ernähren, wenn wir die Ackerflächen direkt für die menschliche Ernährung nutzen würden.»
«Tatsächlich sind unsere positiven Gefühle für das Produkt der Kuh weder angeboren noch zufällig – sondern eine Folge von jahrzehntelangen Werbekampagnen und dem einseitigen Einsatz von Regierungen und Fachgesellschaften für die Interessen der Milchindustrie.»
«Dass die Milchindustrie Kampagnen für ihr Produkt fährt, ist erwartbar. Überraschend ist, dass auch die meist beachtete deutsche Instanz für gesundes Essen, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), an dieser Legende mitgewoben hat. Die DGE ist ein Verein, der unter anderem im Auftrag des Bundesernährungsministeriums Ernährungsempfehlungen ausspricht und „einen Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung“ leisten will.»
«Das Problem ist: Die DGE empfiehlt in ihren zehn Regeln der vollwertigen Ernährung nicht das, was für unseren Planeten und unsere Gesundheit besser wäre, sondern das, was die Deutschen ohnehin essen. Obwohl sie in ihrem Positionspapier zur nachhaltigeren Ernährung einräumt, dass Lebensmittel wie Milch und Milchprodukte „einen höheren Ressourceneinsatz erfordern und klimaintensiver“ als Obst und Gemüse sind, empfiehlt sie ihren täglichen Konsum.»
«Wie viel Einfluss die DGE in Deutschland hat, zeigt sich auch in den Parteiprogrammen zur kommenden Bundestagswahl. Die SPD schreibt darin explizit: „Wir wollen in staatlich finanzierten Einrichtungen eine den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entsprechende gesundheitsfördernde Gemeinschaftsverpflegung umsetzen.“ Das heißt auch: Den Milchkonsum fördern.»
«Für eine generelle Umstellung der Ernährung plädiert sonst keine der etablierten Parteien – einer der Gründe, warum keines der Wahlprogramme mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens konform ist. Das zeigt eine Studie der Stiftung Klima.»
«Das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Julia Klöckner (CDU) bestreitet auf Anfrage nicht, dass es sich gegen eine Besteuerung im Klimapaket ausgesprochen hat. Emissionen in der Landwirtschaft seien „unvermeidlich“, schreibt das Ministerium. Eine fragwürdige Ansicht – schließlich lassen sich Gemüse und Getreide im Gegensatz zu tierischen Produkten ohne Treibhausgase produzieren.»
«Zudem könnte die Bundesregierung auch den leichteren Weg gehen und die Mehrwertsteuer für tierische Produkte auf 19 Prozent erhöhen – augenblicklich werden die meisten nur mit 7 Prozent besteuert, ein heimischer Apfelsaft oder eine Flasche Mineralwasser hingegen mit dem erhöhten Satz.»
«Die große Koalition ignoriert Tierleid und Emissionen. Vielleicht, weil die Regierungspartei CDU/CSU selbst vom hohen Milchkonsum profitiert: 11 Mitglieder des Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sind selbst mit der Landwirtschaft verflochten. Ihr Vorsitzender, der CSUler und Landwirt Alois Gerig, macht für die Milchwirtschaft Werbung. In einer ihrer Broschüren schwärmt er vom „Schichtkäse“, bei dem er an „eine schön gedeckte Kaffeetafel mit Familie und mit Freunden“ denke. Auch weitere CDUler treten in dieser Hochglanz-Broschüre der Milchindustrie auf. Einige davon sitzen als Milchbauern im Bundestag. Albert Stegmann etwa war Aufsichtsratsvorsitzender der Molkereigenossenschaft Emlichheimer Milch, ein Verband für 130 niedersächsische Milchbetriebe, der anhaltische Abgeordnete Kees de Vries hielt selbst 700 Milchkühe. Die Christdemokratin Silvia Breher, früher Juristin beim Bauernverband, macht auf Facebook Werbung für Milch, die „lecker und gesund ist“. Breher ist inzwischen auch im Zukunftsteam von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet.»
«Die Milchkühe wurden über die Jahrzehnte zu sogenannten Hochleistungskühen gedopt – zu wahren Milchmaschinen.»
«Und das hat nicht nur Folgen für das Klima, sondern auch die Kuh. Sie stirbt mit nur fünf statt 20 Jahren und hat in ihrem kurzen Leben meist viele Krankheiten durchlitten.»
«Der Profit-Gedanke bestimme die Arbeit. Manchmal mit fatalen Folgen: „Irgendwann ist der Einzelwert der Kuh so gering, dass Bauern nicht einmal mehr die Einschläferung bezahlen, sondern die Kuh irgendwo verenden lassen“, erklärt er.»
«Die Milchlobby hat auch dafür gesorgt, dass an vielen Schulen Milch und Joghurt auf dem Pausenhof ausgeteilt wird. Vergangenes Schuljahr zahlte die EU für ihr Schulprogramm 10,5 Millionen Euro für Schulmilch an 14 Bundesländern – zwei Bundesländer mehr, als sich für das Obst- und Gemüseprogramm anmeldeten.»
«Laut einem neuen Bericht der Vereinten Nationen fördert die Europäische Union besonders die Bereiche der Landwirtschaft mit einer schlechten Klimabilanz wie die Tier- und Milchwirtschaft.»